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Bürgerliche Demokratie

Nirgendwo auf der Welt geht eine Wahl vonstatten ohne dass in den Medien der Segen der Demokratie beschworen wird. Gerade in von Kriegen gebeutelten Ländern wird es regelmäßig als ein Erfolg beschrieben, dass endlich Wahlen stattfinden konnten, auch wenn massive Wahlfälschungen an der Tagesordnung waren. Auch in „etablierten“ Demokratien wie der BRD sorgt jede Wahl für gefühlsduselige Kommentarspalten über den in diesen Wahlen zum Ausdruck gekommenen „Willen des Volkes“. Aber was macht die Demokratie, in der wir leben, überhaupt aus, und was hat es dabei mit dem „Willen des Volkes“ auf sich?

Seit der Antike gibt es Systeme, die sich als „demokratisch“ bezeichnen. Oft werden heute Parallelen zu älteren „demokratischen“ Systemen gezogen, um die Vor- oder Nachteile unserer Demokratie zu beschreiben. Vergessen wird dabei aber vor allem Eines: Es mag zwar bestimmte formale Gemeinsamkeiten zwischen den antiken und heutigen Systemen geben, aber die die Gesellschaft strukturierenden Produktionsverhältnisse – Sklavenhaltergesellschaft dort, Kapitalismus hier – sind grundverschieden. Über unsere jetzige Situation können uns diese Vergleiche nicht viel sagen.

Historisch ging die Entwicklung der bürgerlichen Demokratie und des Kapitalismus Hand in Hand. Ohne die formal-rechtliche Freiheit und Gleichheit, die für Demokratien kennzeichnend ist, wäre die kapitalistische Konkurrenz nur schwer möglich; und ohne das aufstrebende Bürgertum, welches aufgrund ihres wirtschaftlichen Eigeninteresses diese formal-rechtlichen Garantien brauchte, hätte sich die Demokratie in Europa nicht durchsetzen können. Deswegen ist der Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln so eng mit der bürgerlichen Demokratie verbunden: in fast jeder demokratischen Verfassung ist das Privateigentum genauso fest verankert wie das allgemeine Wahlrecht.

1. Kapitalismus

Die Produktionsverhältnisse bedingen maßgeblich die politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse. Deshalb ist die formal-rechtliche Freiheit und Gleichheit der bürgerlichen Demokratie unzureichend, da sie die Sphäre der Produktion nicht miteinschließt. Diese ist gekennzeichnet durch die Spaltung in zwei Klassen: auf der einen Seite die BesitzerInnen der Produktionsmittel (KapitalistInnen), auf der anderen Seite diejenigen, die außer ihrer Arbeitskraft nichts besitzen und sie deshalb zu verkaufen gezwungen sind (ArbeiterInnen). Die bürgerliche Demokratie mit ihrer formalen Trennung von Politik und Wirtschaft verneint explizit, dass es eine demokratische Gestaltung der Produktion geben kann. Und so ist diese bürgerliche Freiheit für die Mehrheit der Menschen in Wahrheit die Freiheit, nichts zu besitzen und zu wählen, ob mensch lieber für einen Kapitalisten arbeiten geht oder in Armut versinkt.

2. Staat

Der bürgerliche Staat ist immer ein Klassenstaat, der die Interessen der KapitalistInnenklasse als Ganze zu vertreten versucht. Dabei muss er sich zwar immer wieder gegen einzelne Kapitalfraktionen durchsetzen, tut dies aber im Interesse der Aufrechterhaltung der Produktionsverhältnisse, also der Spaltung in KapitalistInnen und ArbeiterInnen. Die bürgerliche Demokratie gibt den Unterdrückten die Illusion, gar nicht unterdrückt zu sein.Sie funktioniert als ein Mantel, der die unterdrückerischen Elemente des Systems verdecken soll, die uns heute „nur“ im Instrument der Polizei und des Militärs entgegentreten, im schlimmsten Fall aber auch in Faschismus umschlagen können.

Bei Wahlen zeigt sich immer wieder, dass der angebliche „Wille des Volkes“ eigentlich nur der Wille der einen oder anderen Fraktion der herrschenden Klasse ist. Gerade in „jungen“ Demokratien werden Wahlergebnisse immer wieder „korrigiert“, wenn sie nicht im Interesse der stärksten Kapitalfraktionen sind. Aber auch in der BRD sind Wahlen eine Farce: unsere gesellschaftliche Mitbestimmung beschränkt sich darauf, einmal alle vier Jahre ein Kreuz zu setzen. Wir können diejenigen, die innerhalb dieser Zeit tun, was sie wollen, nicht einmal zur Rechenschaft ziehen! Die kapitalistische Bürokratie bleibt bestehen, auch wenn Regierungen wechseln.

Das heißt nicht, dass Wahlen bedeutungslos sind: einerseits offenbaren sie Bruchstellen zwischen den Kapitalfraktionen, die es für konkrete Verbesserungen im Hier und Jetzt auszunutzen gilt, und andererseits kann das Parlament für eine starke ArbeiterInnenpartei eine Bühne darstellen, um ihre Ideen zu verbreiten. Zu guter Letzt können RevolutionärInnen Wahlen nutzen, reformistische Parteien dazu zu zwingen, ihre Aussagen unter Beweis zu stellen.

3. Rätedemokratie

Eine wirkliche Demokratie muss alle Bereiche des Lebens umfassen, insbesondere die Sphäre der Produktion. Nur wenn die ArbeiterInnen selbstverwaltet entscheiden, was und wie viel produziert wird, können die Bedürfnisse der Menschen abseits von Profitgier erfüllt werden. In einer Rätedemokratie würde es in allen Betrieben ArbeiterInnenräte geben, die über die Abläufe in ihrem Betrieb demokratisch abstimmen. Gemeinsam mit anderen Räten würde ein demokratischer Wirtschaftsplan aufgestellt werden.

In einer Massendemokratie ist es logistisch nicht möglich, alle Menschen an allen Entscheidungen direkt teilhaben zu lassen. Deshalb würden die einzelnen Räte Delegierte wählen, die sich auf höheren Ebenen miteinander koordinieren und Entscheidungen treffen. Wichtig dabei ist, dass jedeR Delegierte jederzeit seinem Rat rechenschaftspflichtig ist und jederzeit abgewählt und ersetzt werden kann. Nur so ist demokratische Kontrolle möglich.

Diese Rätedemokratie kann nicht von heute auf morgen eingeführt werden, sondern muss im Prozess einer sozialistischen Revolution wachsen. Aber erste Ansätze für diese Räte findet man schon heute: in Streikkomitees, Stadtteilkomitees, und selbstverwalteten Jugendstrukturen.

//von Stefan, Revo FU Berlin //REVOLUTION Nr. 36


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