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Forum für eine „andere Welt“

30.000 AktivistInnen beim 4. Europäischen Sozialforum in Athen

Der Geruch von Tränengas hing an einem Samstagabend nach einer Demonstration über der Athener Innenstadt. Rund 50.000 Menschen aus vielen Ländern waren zuvor dem Aufruf des Vierten Europäischen Sozialforums (ESF) zum Protest „gegen Neoliberalismus, Krieg und Rassismus“ gefolgt, und wurden von einem martialischen Polizeiaufgebot begleitet.

Die Demonstration richtete sich vor allem gegen den Irak-Krieg und gegen eine Eskalation im Iran-Konflikt. „Wir wollen Jobs, keine Bomben“, hieß es auf Transparenten. Fotos von US-Präsident George W. Bush mit der Überschrift „Terrorist Nummer eins“ wurden gezeigt. An einigen symbolträchtigen Orten wie der US-amerikanischen und der britischen Botschaft oder der Polizeizentrale kam es schließlich zu Auseinandersetzungen. Steine und einige Molotowcocktails flogen, ein Streifenwagen brannte aus, und die Fensterscheiben einiger Geschäfte gingen zu Bruch. Die Polizei setzte Tränengas ein. 30 Menschen wurden verhaftet.

Gegen das System

Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) hatte nicht zur Demonstration aufgerufen. Um jedoch ihre Kritik an den aus ihrer Sicht „systemtreuen“ Organisatoren sichtbar zu machen, hatte die ihr nahe stehende Gewerkschaftsfront PAME englischsprachige Plakate entlang der Route aufgehängt: „Den Kapitalismus verbessern? Unmöglich! Ihn stürzen? Unvermeidlich!“

Genau diese Fragen begleiteten auch viele der über 300 Seminare, Workshops und Diskussionsveranstaltungen des ESF: Fragen zur Perspektive sozialer Kämpfe und nach der Gesellschaftsform.

Etwa 30.000 AktivistInnen aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und linken Parteien versammelten sich vier Tage lang fürs ESF in einem alten Olympiakomplex, der seit dem Ende der Spiele im August 2004 brachgelegen hatte. Nach den Foren in Florenz, Paris und London war die griechische Hauptstadt der vierte Gastgeber des europaweiten Vernetzungstreffen. Dabei fiel die Beteiligung aus England, Frankreich, Spanien und Deutschland geringer aus als in früheren Jahren. Zugleich waren wesentlich mehr Menschen aus der Türkei, den Balkanländern und natürlich auch aus Griechenland dabei. Die ehemalige Fechthalle diente als eine Art Marktplatz für Infostände von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sozialen Bewegungen und linken Parteien.

Bei den Diskussionen über Ansätze für den zukünftigen Widerstand gegen die neoliberale Umgestaltung Europas standen die Erfahrungen der erfolgreichen Bewegung gegen das französische CPE-Gesetz, mit seinem Frontalangriff auf den Kündigungsschutz, im Mittelpunkt. Eine Veranstaltung zum Thema „radikale Studentenbewegungen“ zog 300 Jugendliche an, wobei die Beiträge immer wieder durch Sprechchöre unterbrochen wurden: „Tous ensemble!“, „Grève Generale!“ – einig handeln bis zum Generalstreik, so die wichtigste Lehre aus Frankreich. Célia, eine Schülerin, meint dazu: „Wir haben dabei viel über Demokratie gelernt. Gesetze werden nicht im Parlament ausgearbeitet. Deshalb müssen sie auch nicht im Parlament bekämpft werden.“

Auf derselben Veranstaltung berichteten deutsche Gewerkschafter wie Heinz-Jürgen Hintzer von der NGG (Nahrung, Genuß, Gaststätten) über den Anstieg der Arbeitskämpfe in der BRD und davon, daß der bevorstehende Ausstand bei Coca-Cola mit der internationalen Kampagne gegen den Brausehersteller, der in Kolumbien GewerkschaftsaktivistInnen von Paramilitärs ermorden läßt, verbunden werde. So könnten die Aktivitäten gegen den Cola-Konzern ein Beispiel für die notwendige enge Verbindung gewerkschaftlicher und sozialer Bewegungen und zugleich ein Beispiel für koordinierten Widerstand in den reichen Ländern und dem globalen Süden werden – eigentlich das zentrale Anliegen der Sozialforen.

Iran im Zentrum

Thematisch dominierte der drohende Krieg gegen den Iran eindeutig die Tage von Athen. Eine Podiumsdiskussion über den „Krieg gegen den Terrorismus und Menschenrechte“ platzte aus allen Nähten. Rhetorisch wirkungsvoll warnte dort der Autor Tariq Ali: „Falls die USA bescheuert genug sind, den Iran zu besetzen, wird der Irak dagegen wie ein Picknick aussehen“. Auch US-amerikanische Aktivisten wie der Sozialist Ahmed Shawki meinten, daß der Krieg im Irak drei Jahre nach dem „Mission accomplished“, der Erklärung des Kriegsendes durch Bush am 1. Mai 2003, für die USA verloren sei. Keines der wesentlichen Ziele der Angreifer konnte erreicht werden.

Dieses sei auf die Aktivitäten der wachsenden Antikriegsbewegung, vor allem aber auf den „heldenhaften Widerstand der irakischen Bevölkerung“ zurückzuführen. Aus dem Auditorium forderte eine Studentin aus den USA dazu auf, die bedeutenden amerikanischen Militärbasen in Europa, wie die in Ramstein, zu blockieren, um Militärschläge der US-Macht unmöglich zu machen.

Am Sonntag nach Ende des ESF beschloß die „Versammlung der sozialen Bewegungen“, den Widerstand gegen die Besatzung des Irak und den drohenden Krieg gegen den Iran mit einer weltweiten Protestwoche vom 23.-30. September zu koordinieren. Ebenso soll europaweit gegen den im nächsten Jahr in Deutschland stattfindenden G8-Gipfel mobilisiert werden.

Widerstand gegen Bush

Auch wenn die Medien überwiegend von den gewalttätigen Auseiandersetzungen am Rande der Demonstration berichteten, war das ESF hauptsächlich eine Gelegenheit für die Linke, sich europaweit zu vernetzen.

AktivistInnen von REVOLUTION aus verschiedenen Ländern haben am Forum teilgenommen und dafür argumentiert, dass die Zehntausende junge AktivistInnen auf dem Forum eine Stimme bekommen. Die Organisatoren (und die Rechnungsträger) waren vor allem sozialdemokratische Parteien und Gewerkschaften. Deshalb soll das Forum offiziell nur für unverbindliche Diskussionen da sein – doch die Aufrufe zu internationalen Protesttagen zeigen, dass das ESF Ansätze für die internationale Koordinierung des Widerstandes gegen Krieg und Sozialabbau bieten könnte.

Mit über 500 Veranstaltungen konnte das ESF oftmals überwältigend wirken. Eine französische Teilnehmerin meinte, sie fühle sich: „Zusammengequetscht zwischen den esoterischen Faschisten, den nutzlosen Träumern und dem Supermarkt der Ideologien”

Trotzdem bleibt das ESF – wie es auf einem der zahlreichen Flugblätter ausgedrückt wurde – „trotz seiner Schwächen der einzige Rahmen für die Zusammenarbeit der europäischen Linken.“ Daran ändert auch das Tränengas von Athen nichts.

//von Wladek aus Kreuzberg und Heike aus Athen //REVOLUTION Nr. 18

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