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Widerstand in Honduras

Kommt nach dem Putsch eine Verhandlungsl�sung?

Vor drei Wochen fand ein Staatsstreich in Honduras statt � am 28. Juli wurde der Pr�sident Manuel Zelaya, noch im Schlafanzug, von der Armee entf�hrt und in ein Flugzeug Richtung Costa Rica gesteckt.

Es war der erste Staatsstreich in Lateinamerika seit der Absetzung des Pr�sidenten von Haiti im Jahr 2004. W�hrend westliche Zeitungen wochenlang auf ihren Titelseiten �ber die Proteste gegen den Wahlbetrug im Iran berichteten, waren die Proteste gegen den Staatsstreich in Honduras kaum einer Meldung wert. Aber auch dort gab es staatliche Repression gegen eine demokratische Massenbewegung.

Es ist sehr schwierig, sich ein genaues Bild von der Lage in Honduras zu machen, weil die Putschregierung oppositionelle Medien unterdr�ckt[1]. Aber es mehren sich die Hinweise, dass eine Verhandlungsl�sung zwischen dem abgesetzten Pr�sidenten und den PutschistInnen in den kommenden Wochen bevorsteht. Deswegen sollen die Hintergr�nde des Putsches und die M�glichkeiten der Proteste dagegen erl�utert werden.

War es ein Putsch?

Roberto Micheletti, seit drei Wochen der de facto Pr�sident von Honduras, bezeichnet seine Amtseinf�hrung als normalen, verfassungsm��igen Machtwechsel. Dabei verr�t er nicht, welcher Artikel der Verfassung die Verschleppung des Pr�sidenten durch die Armee und seine Abschiebung ins Ausland vorsieht!

Die Regierung von Micheletti (auch “Goriletti” genannt) wurde bisher von keiner anderen Regierung anerkannt. Barack Obama, nach sehr vagen Kommentaren am 28. Juli, sprach sich am 29. Juli gegen den “illegalen Putsch” aus. Auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) suspendierte die Mitgliedschaft Honduras’.

Auf den Stra�en von Honduras sieht es nach einem gew�hnlichen Milit�rputsch aus: Die PutschistInnen haben Radio- und Fernsehsender geschlossen, eine Ausgangssperre verh�ngt, auf DemonstrantInnen geschossen sowie Dutzende AktivistInnen verhaftet, verschleppt und ermordet. Aber Organisationen der ArbeiterInnen, der Bauern/B�uerinnen und der Jugend streiken und demonstrieren seit drei Wochen im ganzen Land gegen den Staatsstreich.

Als Zelaya am 5. Juli zur�ck in die Hauptstadt Tegucigalpa fliegen wollte, marschierten zwischen 100.000 und 500.000 Menschen zum Flughafen � und das in einer Stadt mit knapp �ber einer Million EinwohnerInnen unter einem Ausnahmezustand! Am Zaun des Flughafens hat die Armee auf die Demonstration geschossen und mindestens zwei Menschen get�tet.

Wer ist Mel Zelaya?

Der internationale anerkannte Pr�sident von Honduras, Manuel (”Mel”) Zelaya, wirkt jetzt wie ein Volksheld im Stil von Hugo Ch�vez oder Evo Morales, wenn er sein Volk zum Aufstand f�r die Demokratie aufruft. Auch wenn mensch die Rhetorik von Ch�vez und Morales nicht �bersch�tzen sollte, hat Zelaya noch weniger in Form von konkreten politischen Ma�nahmen anzubieten. Aus einer alten Gro�grundbesitzerInnen-Familie stammend, gewann er im Jahr 2005 die Pr�sidentschaftswahlen f�r die Liberale Partei, eine traditionelle Partei des oligarchischen Zwei-Parteien-Systems[2].

Erst im Jahr 2008 wurde Zelaya ein “Linker”: er trat dem Regionalb�ndnis ALBA (der �Bolivarianischen Alianz f�r die V�lker Unseres Amerikas�) unter F�hrung Venezuelas bei und nannte sich fortan einen “sozialistischen Liberalen”. Wie geht das? Der neoliberale Kapitalismus ist unter den Massen Lateinamerikas so diskreditiert, dass jedeR zweite StaatschefIn auf dem Kontinent sich jetzt SozialistIn nennt � wobei der Begriff jede Spur von Bedeutung verliert.

Zelayas “Linksruck” ist nicht aus einem humanistischen Umdenken, sondern unter dem Druck der Massen zustande gekommen. Schon zu Beginn seiner Regierungszeit fanden mehrere Massenstreiks (”zivile Ausst�nde”) statt, weil das Land immer mehr in die Krise st�rzte. Honduras schwankt zwischen der dritten und der f�nften Stelle auf der Liste der �rmsten L�nder Amerikas[3] und etwas mehr als die H�lfte der Bev�lkerung lebt unter der Armutsgrenze.

Dem wirtschaftlichen Modell des neoliberalen Freihandels � also des Exports von Agrarprodukten und Billigwaren in die USA, erg�nzt durch die Geld�berweisungen von HonduranerInnen, die als ArbeitsmigrantInnen im Ausland leben[4] � drohte sp�testens mit der weltweiten Wirtschaftskrise der Kollaps. Denn die Nachfrage nach den Textilprodukten aus den Exportfabriken (”maquiladoras”) und der Arbeitsmarkt f�r honduranische ArbeitsmigrantInnen, vor allem im Bausektor der USA, brachen rapide ein. Aber schon davor waren Risse im Wirtschaftssystem sichtbar.

Angesichts dieser Krise war die honduranische Bourgeoisie gespalten. Sie hatte zwei Optionen: die erste Option, die sie seit 100 Jahren immer wieder gew�hlt haben, w�re eine Versch�rfung der Ausbeutung (und dadurch eine Senkung der Preise f�r die Exportprodukte) sowie die Niederschlagung der Massenproteste dagegen durch h�rtere Repression. Doch die in die H�he schie�enden �lpreise und der Mangel an ausl�ndischen Devisen machte diese Option besonders schwierig.

Zelaya steht f�r sie zweite Option: Er veritt einen kleinen Minderheitsfl�gel der herrschenden Klasse in Honduras, der die Rettung in einem “Linksruck”, d.h. einer gewissen Abkoppelung von den USA, sieht. Konkret bedeutet das, die Massen durch Rhetorik und Almosen (in diesem Fall durch “sozialistischen Liberalismus” und einen leicht erh�hten Mindestlohn) zu vereinnahmen und die Energiekrise durch regionale Kooperation, vor allem mit Venezuela, zu l�sen. Doch Zelaya konnte keine nennenswerten Teile der Bourgeoisie f�r diesen Linksruck gewinnen. Die Putschregierung, die erstere Option jetzt flei�ig umsetzt, st�tzt sich auf eine erstaunlich geschlossene herrschende Klasse: der Kongress, die Justiz, die Kirche und die KapitalistInnenklasse stehen trotz aller Schwierigkeiten zu den PutschistInnen.

Was f�r eine Bananenrepublik!

Der Begriff “Bananenrepublik” wurde f�r Honduras erst erfunden[5]. Am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts war Honduras, wie andere zentralamerikanische L�nder auch, unter Kontrolle der United Fruit Company und anderer US-amerikanischer Konzerne. Obwohl es de jure immer unabh�ngige honduranische Regierungen gab, wurde de facto die Kontrolle des US-Kapitals durch zahlreiche milit�rische Interventionen und Putsche sichergestellt. Das gilt auch f�r die aktuelle Situation.

Die ablehnende Haltung der US-Regierung und der Organisation Amerikanischer Staaten (auch das “US-Kolonialministerium” genannt) scheint auf dem ersten Blick ganz untypisch f�r einen Putsch in Lateinamerika Doch auch bei diesem offiziell abgelehnten Putsch hatte die US-Botschaft ihre Hand im Spiel[6]. Im Vorfeld hatte es Treffen zwischen dem US-Botschafter Hugo Llorens und der Opposition gegeben, um zu beraten, wie der Pr�sident abzusetzen und zu verhaften sei (obwohl es gegen�ber der Presse nat�rlich hie�, dass es bei diesen Beratungen ausschliesslich um die M�glichkeiten einer legalen Amtsenthebung ging)[7].

Die Obama-Administration verfolgt mit dieser zwiesp�ltigen Haltung zwei, teilweise entgegengesetzte Ziele: Auf der einen Seite m�chte sie sich von der offen imperialen Au�enpolitik der Bush-Administration in Lateinamerika distanzieren. Der Putschversuch im April 2002 in Venezuela ist genauso wie die Destabilisierungsstrategie im September 2008 in Santa Cruz (Bolivien) gescheitert � solche Aktionen haben lediglich die Massen radikalisiert und die Kontrolle der USA in ihrem “Hinterhof” Lateinamerika geschw�cht. So soll es nun eine m�glichst gro�e �sthetische Distanz zwischen Obama und offenen PutschistInnen wie Reagan, Bush Sr. oder Bush Jr. geben.

Auf der anderen Seite haben sie trotzdem ein Interesse an der Konsolidierung des Putschregimes, um ihre Hegemonie in der Region durch eine Schw�chung des B�ndnisses ALBA zu verteidigen. Deswegen setzten sie auf eine Strategie der Verhandlungen: Obwohl eine Anerkennung der Putschregierung kategorisch abgelehnt wurde, wird sie sie durch die Verhandlungen zwischen Zelaya und Micheletti letztendlich doch anerkannt. W�hrend formale Ma�nahmen wie die Suspendierung Honduras’ von der OAS beschlossen wurden, haben nur die wenigsten L�nder (u.a. die ALBA-Staaten) ihre BotschafterInnen aus dem Land abgezogen � wirtschaftliche Sanktionen, die die PutschistInnen wirklich in die Knie h�tte zwingen k�nnen, wurden gar nicht erst erw�hnt.

Diese Verhandlungen, die jetzt seit zwei Wochen anhalten und m�glicherweise bald zu einem Ergebnis f�hren, sollen die Massen mit Illusionen �ber einen “demokratischen” Ausgang der Krise einschl�fern. Vor diesem Hintergrund haben die Massenproteste an Dynamik verloren � nicht zuletzt deshalb, weil Zelaya zwar zu einem “Aufstand”, aber zu einem “friedlichen Aufstand” und nicht zu einem unbegrenzten Generalstreik aufruft. So erkennt er das Gewaltmonopol der Armee, die gerade gegen ihn putschte, an.

Leider ist es so, dass dieser Sohn der Oligarchie lieber sich selbst absetzen l�sst, als eine Bewegung ins Leben zu rufen, die die Institutionen des oligarchischen Staates ernsthaft herausfordern k�nnte. Trotzdem muss er (genauso wie Obama) sich mit scharfen Worten gegen den Putsch aussprechen, um zu verhindern, dass die Massen den Weg des offenen Kampfes betreten.

Welche Strategie ist notwendig?

Gerade weil Zelaya und die “internationale Gemeinschaft” kein Interesse an Wirtschaftssanktionen gegen die PutschistInnen haben, bleibt es den Massenorganisationen der ArbeiterInnen, der Bauern/B�uerinnen und der Jugend �berlassen, die Wirtschaft durch Streiks und Stra�enblockaden lahmzulegen. Je l�nger die Verhandlungen zwischen der alten und der neuen Regierung andauern, desto mehr kann sich die Putschregierung konsolidieren, desto h�rter wird sie gegen die arme Bev�lkerung vorgehen k�nnen.

Die Massen d�rfen keine Illusionen in die “honduranische Demokratie” und die Verfassung von 1982 haben. Diese Verfassung, die ein oligarchisches Zwei-Parteien-System an die Stelle der Milit�rdiktatur setzte, beschr�nkt die Rechte der W�hlerInnenschaft, die z.B. keine M�glichkeit hat, einen Pr�sidenten f�r mehr als eine Amtsperiode zu w�hlen oder vor dem Ende der Wahlperiode wieder abzusetzen.

Es war gerade das Vorhaben Zelayas, eine unverbindliche Umfrage �ber die Wahl einer konstituierenden Versammlung am Ende des Jahres durchzuf�hren, die die gro�e Mehrheit der Bourgeoisie dazu bewog, ihn zu st�rzen. Die honduranische Bourgeoise kann keine �nderung der reaktion�ren Verfassung von 1982 dulden � denn schon die M�glichkeit einer neuen Verfassung w�rde breite Diskussionen unter den armen Massen �ber das politische System des Landes ausl�sen. Aus diesem Grund basieren alle Verhandlungen jetzt auf Zelayas bereits vorliegendes Zugest�ndnis, von der Forderung einer verfassungsgebenden Versammlung Abstand zu nehmen.

Aber auch Zelaya will nicht mehr als ein leicht modizifiertes Modell des semikolonialen Kapitalismus f�r Honduras. Deswegen d�rfen die armen Massen ihre Hoffnungen nicht in eine von ihm angef�hrte Versammlung setzen. Nur eine revolution�re Versammlung, die direkt von der Basis gew�hlt wird und nicht nur �ber die politischen Institutionen, sondern auch �ber die wirtschaftlichen Grundlagen des Landes entscheidet � also �ber den Gro�grundbesitz, das Privateigentum an Produktionsmitteln usw. � kann die Massen aus ihrer Armut befreien.

Die Proteste gegen den Putsch sind teilweise schon weitergegangen, als Zelaya wollte: Ein Generalstreik soll n�chste Woche beginnen, obwohl Zelaya lediglich zu friedlichen Demonstrationen aufrief. Die Forderung einer konstituierenden Versammlung kann trotz der faulen Kompromisse Zelayas weiterhin hochgehalten werden. Denn auch eine R�ckkehr Zelayas als Pr�sident w�rde aus Sicht der meisten HonduranerInnen nur eine politische Krise durch eine andere, soziale � genauer gesagt, kapitalistische � Krise ersetzen.

//von Wladek Flakin //19. Juli 2009

 

Notizen

[1] Der Blog der trotzkistischen Partei PST bildet eine wichtige Ausnahme. Siehe: http://pst-secuenciadelgolpe.blogspot.com

[2] Roberto Ram�rez: Mass Movement to Defeat �Pinocheletti�. �bersetzung aus dem Spanischen: The Commune. http://thecommune.wordpress.com/2009/07/06/honduras-mass-movement-to-defeat-pinocheletti/

[3] http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Latin_American_countries_by_GDP_(nominal)

[4] Diese �berweisungen machten im Jahr 2007 mehr als ein F�nftel des Bruttoinlandsprodukts von Honduras aus! Siehe: http://www.state.gov/r/pa/ei/bgn/1922.htm

[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Bananenrepublik

[6] Ein alter Witz in Lateinamerika geht so: Warum gab es noch nie einen Putsch in den USA? Weil es dort keine US-amerikanische Botschaft gibt.

[7] http://www.nytimes.com/2009/06/30/world/americas/30honduras.html

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