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3.000 gegen MSA

Berliner SchülerInnen wehren sich gegen Prüfungswiederholung

3.000 Berliner SchülerInnen aus zehnten Klassen haben sich am Montag vormittag am Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus versammelt. Mit ihrer Kundgebung protestierten sie gegen die Wiederholung der zentralen Mathematik-Prüfung für den mittleren Schulabschluß (MSA). "Euer Fehler ist nicht unsere Schuld" stand auf einem der vielen selbstgebastelten Transparente.

Heiko Hildebrandt von der Humboldt-Oberschule in Berlin-Tegel, der zusammen mit FreundInnen am vergangenen Mittwoch einen Aufruf für die Kundgebung ins Netz gestellt hat, fand es "überwältigend", wie viele SchülerInnen zusammengekommen sind. Die ganze Aktion war von SchülerInnen organisiert, die keine Erfahrung mit Demonstrationen hatten. Es gab keinen Lautsprecherwagen - nur kleine Megafone, mit denen die große Menschenmenge kaum zu erreichen war.

28.000 SchülerInnen aus zehnten Klassen sollen die zentrale Mathematik-Prüfung wiederholen, weil Aufgaben und Lösungen im Vorfeld des Tests an die SchülerInnen von bis zu 60 Schulen gelangt waren. "Wir haben bereits Anzeige gegen unbekannt erstattet", schrieb Eckart Schlemm, Staatssekretär für Bildung, in einem Brief an die SchülerInnen, aber die Ursachen der Panne seien noch nicht bekannt. Der Brief, der vom Demoleiter vorgelesen wurde, endete mit den zynischen Worten: "Ich drücke Ihnen allen die Daumen für die Wiederholung."

Die SchülerInnen waren von seinem Daumendrucken aber nicht so beeindruckt und skandierten weiterhin "Keine Wiederholung!", "Schreibt doch selber!" oder "Eure Schuld!" in Richtung Rotes Rathaus.

Eine Skandalmeldung des Berliner Kurier, wonach RealschülerInnen angekündigt hatten, mit "Steinen und Eisenstangen" zur Demo zu kommen, erwiesen sich als Zeitungsente. Der geplante Marsch zur Senatsverwaltung für Bildung war von der Polizei untersagt worden. Auch Versuche, nach der Kundgebung mit einer Spontandemo in deren Richtung zu starten, wurden von der Polizei blockiert. Die Bullen wussten, dass die OrganisatorInnen ihre Rechte aus dem Versammlungsgesetz nicht genau kannten, und deswegen erzählten sie, eine Spontandemo könne erst nach anderthalb Stunden genehmigt werden!!!

Die meisten DemonstrantInnen waren nicht-deutscher Herkunft, und sie hatten auch viele türkische Fahnen dabei. Auch einzelne Kroatien- oder Albanien-Flaggen waren zu sehen. Eine politische Aussage wollte Bilge (17), die auch eine Halbmond-Fahne dabei hatte, darin nicht erkennen: "Die Leute wollen nur feiern, weil die Türkei gestern gegen Tschechien gewonnen hat." Auch einige TrägerInnen von Deutschland-Fahnen haben nur an Fussball gedacht: "Wir wollten nur zeigen, dass wir gegen Türkiye sind" meinten sie.

Lee Hielscher von der Landesschülervertretung betonte in einem Redebeitrag – der von einem Polizeiwagen aus gehalten werden mußte –, die Proteste drückten "berechtigte Wut auf ein autoritäres Bildungssystem" aus. Er erwähnte die Schülerproteste gegen Bildungsabbau im letzten Monat in der ganzen BRD und machte Werbung für einen bundesweiten Schulstreik, der im Herbst stattfinden soll. Mehrere AktivistInnen der Schülerinitiative "Bildungsblockaden einreißen" waren auch dabei.

Dieses ganze Prüfungschaos hat natürlich mit Kürzungen im Bildungsbereich zu tun. Obwohl die genauen Ursachen für die Panne nicht bekannt sind (Gerüchte sagen, dass die ARAB in einer Guerilla-Aktion die Vorlagen geklaut und an SchülerInnen weitergegeben hat...), heißt es, dass die Vorlagen für alle MSA-Prüfungen zusammen an die Schulen verschickt wurden. Deswegen lagen die Vorlagen für die Mathe-Prüfungen wochenlang in Sekretariatsräumen - es ist eigentlich ein Wunder, dass die Aufgaben an nur 60 Schulen vorher bekannt waren!

Damit hat der Senat Portokosten gespart - aber muss die gesamte Prüfung am 23. Juni jetzt wiederholen! Ein Transparent machte auf genau diese Frage aufmerksam: "Lernmittel statt Wiederholungen!"

Bemerkenswert ist, dass junge SchülerInnen, die eine solche Schweinerei erleben, nicht einfach bei ihren LehrerInnen rummeckern sondern sofort zu Streiks aufrufen. Das wäre ohne die Arbeit der Schülerinitiative "Bildungsblockaden einreißen!", die in den letzten zwei Jahren drei Schulstreiks organisiert hat, nicht passiert. Die überraschend große Kundgebung heute ist - neben den bundesweiten Aktionen vom letzten Donnerstag - wieder ein Beweis der großen Streikbereitschaft unter SchülerInnen heutzutage.

Peter Sinram von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach - ebenfalls vom Bullenwagen - den Schülern Mut zu: "Sagt uns nächstes Mal Bescheid, dann organisieren wir einen Lautiwagen für euch."

Ob die GEW dieses Versprechen wirklich einhält, werden wir sehr bald sehen. Denn am Donnerstag um 14 Uhr wollen die SchülerInnen eine weitere Demo organisieren, diesmal am Potsdamer Platz in der Nähe des Berliner Abgeordnetenhaus. Dort tagt der Bildungsausschuss der Senats ab 13 Uhr, das heißt der Bildungssenator Zöllner - an den schon viele Rücktrittsforderungen gerichtet wurden - wird auch anwesend sein.

SchülerInnen und Eltern haben bereits Klagen gegen die Klausurwiederholung eingereicht. Aber es muss klar sein, dass viel politischer Druck in Form von weiteren Schülerprotesten und -streiks nötig sein wird, um diese Prüfungswiederholung noch zu stoppen.

//von Wladek, Revo Berlin //Original auf Indymedia

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