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"Einheit vor Klarheit"

Der Gründungskongress der "Links!Jugend ['solid]" endete mit Wut und Tränen

Sonntag um 12.50 Uhr: zehn Minuten bevor der Gründungskongress des "Jugendverbandes XY" zu Ende gehen sollte, wurde die Satzung von einer Mehrheit der Anwesenden beschlossen. Der Zusammenschluss aus ['solid], Junge Linke und der WASG-Jugend bekam den Namen "Links!Jugend ['solid]" und einen neuen Bundesvorstand. Nach dieser Abstimmung - mit 3 mehr Ja-Stimmen als die notwendige zwei Drittel-Mehrheit von 147 - gab es heftigen Applaus. Aber die gute Stimmung zerbrach, als den Solids klar wurde, dass sie ihr bisher parteinaher aber eigenständiger Jugendverband auf dem Altar der "Einheit" geopfert hatten.

Solids heulten, zitterten und diskutierten unter sich, ob sie jetzt oder später austreten sollten. Das war die Stimmung unter den rund 250 Delegierten, die den Jugenverband der "neuen Linken" gegründet hatten. In den Statements der Solid-Führung heißt es nun, sie werden bald 10.000 Mitglieder haben – aber in Wirklichkeit wird es schwierig sein, die wenigen Tausend AktivistInnen, die jetzt in Solid sind, zusammen zu halten.

Der Ablauf des Kongresses

Im Friedrichshainer Kino "Kosmos" ging die Megaveranstaltung vor sich. Allein für die Miete des Saales hat die Partei rund 20.000 Euro ausgegeben – für den gesamten Kongress 35.000 Euro. Diese Atmosphäre war einfach nicht für Jugendliche gedacht, denn selbst für einen winzigen Kaffee musste mensch 1,50 Euro zahlen.

Also wozu der ganze Aufwand, wenn die Veranstaltung für einige hundert Euro in einer Schule hätte stattfinden können? "Damit die Presse gute Bilder bekommt." Ein Kamerateam des ZDF war dabei und bekam tolle Bilder, wie die L.PDS-Apparatschiks brüllten und manövrierten, um dem Jugendverband bürokratische (besser gesagt: noch bürokratischere) Strukturen aufzuzwingen.

Das begann schon am Montag vor dem Kongress, als der L.PDS-Parteivorstand beschloss, dass in der Satzung des Jugendverbandes "keine Formulierungen enthalten sein" dürften, die dem Programm der L.PDS widersprächen, und dass "sich der Jugendverband eindeutig und ausschließlich als solcher der Partei" bezeichnen müsste.

Nach heftiger Aufregung über diesen Einmischungsversuch beschränkte sich der Apparat aus dem Karl-Liebknecht-Haus darauf, sich über die "Junge Linke" einzumischen. Diese Strömung entstand vor einigen Jahren als Rechtsabspatlung von Solid, als Kaderschmiede für die Partei, und sollte mit ['solid] zwangsfusioniert werden.

Diese "Junge Linke" forderte drei Dinge: "['solid]" dürfe nicht Teil des Namens sein, um selbst die Erinnerung an einen parteiunabhängigen Jugendverband auszulöschen; der neue Vorstand müsse mit gleich vielen Mitgliedern von ['solid], Junge Linke und WASG-Jugend besetzt sein, obwohl ['solid] zweifellos 10 oder 20 mal mehr Mitglieder hat als die beiden anderen Formationen zusammen; Delegiertenmandate müsse es auch für Bundesarbeitskreise geben, damit die ParteifunktionärInnen im Vorfeld der Kongresse beliebig viele neue BAKs gründen können. Kurz: ['solid] sollte bei allen Forderungen, die sie vor einem Jahr aufgestellt hatte, einknicken. ['solid] sollte kapitulieren.

Die Diskussionen über die Satzung liefen ins Unendliche - die Tagung begann am Samstag um 10 Uhr, und um 1 Uhr morgens gab es immer noch keine Ergebnisse. Die Delegierten mussten dann umziehen, weil im großen Saal eine Techno-Party stattfand, deren Beats alle Debatten übertönte. Unten in einem Kinosaal, ohne viel Licht und ohne viel Sauerstoff wurden dann Kompromisse ausgehandelt. Weil viele Delegierten nach 14stündiger Tagung schon eingeschlafen waren, wurde trotz heftigen Widerspruchs eine Verhandlungsgruppe ernannt, die in der Nacht einen Kompromiss zwischen den drei Formationen suchte. Dieser bestand in dem Namen "Links-Aufrufezeichen-Jugend-Leerzeichen-Klammerauf-Apostroph-Solid-Klammerzu" und einem Vorstand aus 6 Solids, 4 Linke Jugend-Leuten und 4 WASG-Jugendlichen.

Der neue Jugendverband

Offiziell hat der neue Jugendverband 3.000 Mitglieder. Davon sind allerdings etwa 800 von der "Jungen Linken Sachsen", und das sind einfach alle L.PDS-Mitglieder in Sachsen unter 35. Die Zahl der Aktiven in diesem Verband dürfte zwischen 25 und 50 sein. Bei ihren Fraktionstreffen am Rande des Kongress sah mensch keine Dreads oder linke T-shirts, wie bei ['solid] üblich – unter den Anfang-30-Berufsjugendlichen waren Modesonnenbrillen und Jackets angesagt.

Star der "Jungen Linken" war zweifelsohne Michael Leutert, 33 Jahre alt, Bundestagsabgeordneter aus Sachsen und schneidiger Styler schlechthin. Der laute Mann mit kurzen, gegelten Haaren und engem weißen Hemd gestikulierte wild und brüllte auf Sächsisch: "Ich bin dafür, dass wir das platzen lassen", als er den Konferenzsaal zum Xten Mal verlässt.

Der/die PDS-unerfahrene BeobachterIn würde sich wundern: Wozu der ganze Stress? Könnte ein linker Jugendverband nicht einfach auf diese SachsInnen scheißen und sein eigenes Ding machen? Aber die erheblichen Summen aus der Parteikasse (über 200.000 Euro sind in Aussicht gestellt worden!) gibt es nur dann, wenn ein neuer Jugendverband einschließlich der "Jungen Linken" – die weder besonders jung noch besonders links sind – gebildet ist. Die stylishen SächsInnen erlaubten sich ein so provozierendes Auftreten, weil sie den Parteivorstand hinter sich wussten. Paul von ['solid] Gelsenkirchen meinte, "den Delegierten ist mittlerweile klar, dass es sich hier nicht um einen Kampf gegen die Junge Linke sondern gegen den Parteivorstand handelt."

Über den undemokratischen Ablauf des Kongresses gab es unzählige Beschwerden. Da die Besetzung der Führungsposten schon vorher in Kleingruppen ausgehandelt wurde, gab es keine Wahl sondern ein ziemlich sinnloses Ernennungsverfahren, ohne GegenkandidatInnen. Nach der Abstimmung über die Satzung traten eine ganze Reihe von Mitgliedern der Wahlkomission zurück, um ihre Ablehnung gegenüber diesem Kuhhandel zum Ausdruck zu bringen. Doch in dem Moment gab es ein subtiles Zeichen vom Parteivorstand, warum die Solids diesen ganzen Scheiß doch noch über sich ergehen lassen sollten: es rückten zwei LKWs der L.PDS auf dem Platz vor dem Kino an, mit 30.000 Anti-G8-Zeitungen und 20.000 Mobilisierungs-CDs, die kostenlos verteilt werden können. Die L.PDS versteht Erpressung, aber auch Bestechung...

"Ich bin kurz davor, eine Hasskappe anzuziehen, zum Karl Liebknecht-Haus zu ziehen und alle Fenster einzuschlagen" meinte ein Solid aus NRW - immerhin gibt es noch ein paar bewegungsorientierte Jugendliche bei ['solid]! Aber sehr viele AktivistInnen liessen sich damit überzeugen, dass sie schlicht keine Alternative sehen. Wäre es wirklich möglich ohne Gelder, Büros, Equipment usw. von der L.PDS politisch zu arbeiten?

Die politischen Fragen

Die Machtspiele am Wochenende waren endlos, aber die politischen Fragen kamen leider nicht sehr häufig vor. Die "junge" "Linke" war allgemein verhasst, aber niemand erwähnte die Tatsache, dass die Berufsjugendlichen und Bundestagsabgeordneten wie der Styler Leutert oder die Diva Katja Kipping die israelische Invasion des Libanons verteidigt haben. Auch über die Beteiligung an kapitalistischen Regierungen wie die L.PDS in Berlin wurde beim Kongress nicht viel geredet.

D.h. man hat jetzt "GenossInnen" im Jugendverband, die nicht prinzipiell gegen imperialistischen Krieg oder Sozialabbau stehen. Was ist die Perspektive eines solchen Jugendverbandes? Alle wollen natürlich "bewegungsorientiert" bleiben, aber kaum jemand erwähnt irgendeine grundsätzliche Alternative zur parlamentarischen Strategie der Linkspartei.PDS. Wer das bürgerliche Parlament und den kapitalistischen Staat als Instrumente sieht, um die Gesellschaft zu verändern, macht sich sehr schnell zu einem Verwalter dieses Systems.

So haben wir in Berlin eine "linke" Regierung, die "linkes" Büchergeld, "linke" 1-Euro-Jobs, "linke" Privatisierungen, "linke" Polizeieinsätze gegen Antifa-Demos usw. organisiert. Da die Parteibasis von solcher Politik Bauchschmerzen bekommen kann, müssen reformistische Parteien zwangsläufig bürokratisch sein. Das bedeutet umgekehrt, wenn junge AktivistInnen diesen Bürokratismus in ihrer Organisation ernsthaft angreifen wollen, müssen sie auch das die reformistische Perspektive dahinter ebenfalls angreifen.

Aber das geschah beim Kongress am Wochenende viel zu wenig – umso leidenschaftlicher wurde die Debatte um zweitrangige Fragen wie den Namen geführt. Bei der Satzungsdebatte meinte ein Solid aus Hamburg dazu: "Wir haben schon so viele Kompromisse gemacht. Wir haben das Konzept eines parteiunabhängigen Jugendverbandes über Bord geworfen. Deswegen soll ['solid] mit dem Namen zumindest symbolisch Teil des Verbandes sein."

Aber ist diese Frage wirklich so wichtig? Was nutzt uns ein Jugendverband mit dem Namen ['solid], wenn sein Bundesvorstand Auslandseinsätze der Bundeswehr in bestimmten Umständen unterstützt? Bei der neuen Zusammensetzung ist das nicht garantiert, aber auch nicht ausgeschlossen. In den nächsten Monaten und Jahren kann es nur noch schlimmer werden, als die Zahl der aktiven Solids zurückgeht und die Zahl der Funktionärsposten im Jugendverband explodiert.

Die Delegierten der WASG-Jugend (eine Gruppe, die gerade so existiert) brachten es auf den Punkt, als sie für die Gründung des neuen Jugendverbandes um jeden Preis warben: "Wir brauchen Einheit vor Klarheit". Aber diese "Einheit" auf einer reformistischen, bürokratischen Grundlage wird mehr Jugendliche abschrecken als anziehen. Wir haben es wohl mit einem der wenigen Fusionskongresse in der Geschichte zu tun, der unmittelbar zu einem Mitgliedsrückgang führen wird! Klarheit über Perspektiven – darüber, was mensch eigentlich will – ist die unmittelbare Voraussetzung für irgendein politisches Projekt.

Es blieb dem neuen Bundesarbeitskreis "Solid-Revolution" vorbehalten, Ansätze für eine politische Alternative zu dem ganzen Scheiß einzubringen. In einem ersten Statement, das im Vorfeld der Konferenz verbreitet wurde, schrieben sie: "Es hat keinen Zweck, den falschen Leuten das Richtige erklären zu wollen". Sie machten klar, dass die bürokratischen Manöver, die alle Delegierten angekotzt haben, eng mit dem Parlamentarismus der L.PDS zusammenhingen. Wer nicht auf die Zerschlagung der Kapitalistenklasse und ihres Staates zielt, sollte sich tatsächlich um einen bezahlten Posten im Staatsapparat kümmern! Deswegen muss mensch unter den unzufriedenen Solids die politische Debatte anstossen und eine neue, antikapitalistische Perspektive ausarbeiten.

Der Bundesarbeitskreis "Solid-Revolution", der über das Wochenende gegründet wurde, stiess auf reges Interesse aus fast allen Landesverbänden. Jetzt geht es darum, genauso hart zu sein wie die ParteifunktionärInnen aus Sachsen.

Wie weiter?

Die Geschichte der Arbeiterbewegung ist voller Beispiele, wie linke Jugendorganisationen mit ihren Mutterparteien brachen. Damit haben sie nicht nur eine Radikalisierung unter der Jugend, sondern in der Arbeiterbewegung insgesamt vorangetrieben. Oft ist es schwer, ohne die finanziellen Ressourcen einer Mutterpartei politisch zu arbeiten – anderseits funktioniert ein Jugendverband ohne die bürokratischen Strukturen der Mutterpartei oft viel besser.

Auch wir von der unabhängigen internationalen kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION müssen unter schwierigen Bedingungen arbeiten: während Solid 30.000 Zeitungen gegen die G8 kostenlos verteilt, müssen wir um Spenden bitten, um unsere Zeitung zu finanzieren. Aber dafür müssen wir nicht jeden Satz mit den ReformistInnen im Karl-Liebknecht-Haus abstimmen – wir können in jeder Situation eine revolutionäre Perspektive aufzeigen.

Aus diesem Kongress, aus dieser totalen Niederlage für Solid können neue Strukturen hervorgehen. Die alte Strukturen können in neue Richtungen geführt werden. Deswegen: Keine Demoralisierung! Keine individuellen Austritte! Keine Auflösung der Lokalgruppen! Der Kampf für eine sozialistische Jugendorganisation kann und muss – daran hat der Kongress keinen Zweifel gelassen! – ohne und gegen diese "neue Linke" geführt werden.

Entscheidend ist, dass in den nächsten Tagen und Wochen ein starkes Signal ausgeht: Viele Solids wollen mit diesem bürokratischen und (rechts)reformistischem Jugendverband nichts mehr zu tun haben. Aber was gibt es jenseits von der "DIE LINKE."? Wie sollen sich linke Jugendliche organisieren? Einfach zur Antifa rennen?

Viele Delegierte und AktivistInnen, die momentan enttäuscht sind, werden sich mit der neuen Situation abfinden, wenn es keine konkrete Alternative gibt. Deswegen liegt bei den linken Solids – vor allem beim Bundesarbeitskreis Solid-Revolution – eine große Verantwortung, diese Alternative aufzuzeigen. Statt einem reformistischen Rekrutierungspool brauchen wir eine unabhängige, revolutionär-sozialistische Jugendorganisation!

Wir von REVOLUTION wollen mit allen jungen AktivistInnen, die nicht auf einen Parteiposten sondern auf eine befreite Gesellschaft geil sind, diesen Weg gehen.

//von Wladek Flakin, 23.5.07 //Original: http://de.indymedia.org/2007/05/178406.shtml
//weitere Infos über die Krise des Jugendverbandes "Links!Jugend ['solid]"

 

Anhang: Die TrotzkistInnen beim Solid-Kongres

Trotzkismus hat unter linken Jugendlichen meist einen schlechten Ruf – zu Recht, wenn man das Verhalten der meisten sich trotzkistisch nennenden Gruppen in der BRD anschaut. Beim Solid-Kongress anwesend waren drei solcher Gruppen: Linksruck, der Funke und REVOLUTION.

Linksruck und der Funke bilden beide Teil des neuen Jugendverbandes: Linksruck dominiert den neuen Hochschulverband "Die Linke.SDS", während der Funke in Solid Hessen und einigen anderen Landesverbänden präsent ist. Was schlagen sie für einen linken Jugendverband vor?

Die LinksrucklerInnen haben wieder zur Schau gestellt, wie ihre Anpassung an die Linkspartei und ihren Apparat sie zu rechten Positionen verleitet. Während die Solids für die Eigenständigkeit ihrer Organisation gegen den Linkspartei-Vorstand kämpften, boxte Linksruck (zusammen mit der Jungen Linken aus Sachsen) den Parteibezug in der Satzung durch. Offiziell heißt es, damit könne man auf die Linkspartei mehr Einfluss nehmen – aber wie soll das funktionieren, wenn die aktiven, linken Solids den Verband alle verlassen haben?

Der Funke blieb sicherlich eher am linken Rand des Kongress. Aber sie hatten keine nennenswerten Vorschläge. Während nicht wenige "einheimische" Solids über die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution diskutierten, beschränkten sich der Funke auf Forderungen wie die Verstaatlichung von Airbus oder gegen die Privatisierung der Bahn - diese Forderungen sind an sich nicht schlecht, aber trotzdem weit entfernt von einem revolutionären Programm.

Uns ist nicht bekannt, dass diese Strategie der "revolutionären Perspektive durch die Hintertür" jemals funktioniert hätte. Während für viele Solids sich die Frage stellt, ob sie jetzt den Verband verlassen sollen, wird der Funke zweifellos drin bleiben. Diese Strömung war bis zum Ende der 90er Jahre in der SPD!!!

REVOLUTION, eine unabhängige kommunistische Jugendorganisation ("die sympathistische unter den Trotzki-Sekten" –ALB), diskutierte mit den verschiedenen linken Strömungen und argumentierte dafür, dass eine revolutionäre Strömung organisiert und der unvermeidliche Bruch mit der PDS politisch vorbereitet werden muss.

Wir argumentieren, dass linke Solids der PDS den Rucken kehren und eine unabhängige, revolutionäre Jugendorganisation aufbauen können. Die Existenz von REVOLUTION - so winzig wir auch sein mögen - beweist, dass eine solche Organisation funktionieren kann.

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